Warum sind Trockenwiesen und -weiden geschützt?

Ernst und Esther Peterhans

Das «Programm Natur 2030» wurde im September 2020 vom Grossen Rat des Kantons Aargau beschlossen. Der Beschluss und das Ziel des Programms werden wie folgt begründet: «Die Biodiversität nimmt schweizweit ab, jeder zweite natürliche Lebensraum, jede dritte einheimische Art ist heute gefährdet. Es sind grosse Anstrengungen notwendig, damit die Artenvielfalt langfristig gesichert werden kann, auch im Aargau.» Zur Sicherung der Artenvielfalt sind vielfältige Massnahmen vorgesehen, bei welchen der Schutz und die Erhaltung der Trockenwiesen und -weiden (abgekürzt Tww) eine zentrale Rolle spielen.

Was sind Tww und weshalb sind sie wichtig für die Natur? Auf die kürzeste Formel gebracht: Tww sind artenreiche Lebensräume, die während Jahrhunderten durch eine schonende landwirtschaftliche Nutzung entstanden sind. Oft an steilen Halden gelegen, werden sie nur einmal spät im Jahr gemäht oder für kurze Zeit beweidet. Der gelegentlich verwendete Begriff «Magerwiese» bezieht sich auf den geringen landwirtschaftlichen Ertrag, nicht aber auf den grossen Artenreichtum dieser Wiesen an Pflanzen, Insekten, Spinnentieren, Tausendfüsslern, Würmern, Reptilien und Säugetieren. Einige Tww beherbergen auf der Fläche einer Are (100 m2) bis zu 1000 verschiedene Pflanzenarten. Die enorme Vielfalt setzt sich auch im Boden fort. Für uns unsichtbar sind mit den Pflanzenwurzeln Pilzgeflechte verbunden sowie eine als Mikrobiom bezeichnete Welt mit Bakterien und Viren (Bakteriophagen), die für uns Menschen harmlos sind. In jedem Gramm Erde hat es hunderte Millionen Bakterien und noch viel mehr Viren.

Wie kommt die Vielzahl unterschiedlichster Lebewesen zustande? Die Antwort lautet: Die Vielfalt ist sowohl die Ursache wie auch das Resultat dieser Vielfalt. Des Rätsels Lösung: Tww sind artenreich, weil alles und alle, welche darauf, darunter und auch darüber anzutreffen sind, mehrfach voneinander abhängen und sich gegenseitig beeinflussen. Die Interaktionen reichen von Symbiose (beide Partner profitieren) bis zu Parasitismus (der Vorteil liegt auf einer Seite). Wie bei den Menschen existiert in und unter den Tww ein reger «Handel mit Waren und Dienstleistungen», welcher kompliziert und enorm vielschichtig ist. Nachfolgend einige Beispiele: Orchideen können ohne Pilzgeflecht nicht existieren. Schon die Samen keimen nur in Symbiose mit Pilzen und die Orchideen selbst beziehen von den Pilzen Mineralstoffe und geben Zucker an sie ab. Einige Orchideen locken mit Duftstoffen Insekten an, welche beim Besuch für die Bestäubung sorgen. Je nach Art werden Bienen, Schmetterlinge und Fliegen oder andere Insekten mit wohlriechenden oder fauligen Düften angelockt. Die Insekten werden von den Orchideen aber nicht entschädigt, weder mit Nektar noch sonstiger Nahrung. Von dieser raffinierten Täuschung profitieren die Orchideen. Die Insekten haben aber auch keine Nachteile, weil die Orchideen einer Tww von vielen andern Pflanzen umgeben sind, die Insekten reichlich Nahrung bieten.

Welche Rolle spielen diese Lebewesen? Insekten spielen auch bei der Verbreitung der Pflanzensamen eine wichtige Rolle. Es gibt Pflanzen, die ihre Samen mit wohlriechenden Öltröpfchen garnieren. Für Ameisen sind Letztere eine attraktive Futterquelle. Sie knabbern sie bereits vor Ort an oder schleppen sie zusammen mit den Samen in ihr Nest. Schon auf dem Weg dorthin geht ein Teil des Transportguts verloren. Davon profitieren die Pflanzen, weil ihre Samen damit weitergetragen werden. Andere Pflanzen locken Ameisen mit Zuckersaft an. Nach dem Grundsatz «der Feind meines Feindes ist mein Freund» schützen die Ameisen die Pflanzen vor Raupen und anderen Fressfeinden. Man könnte die Liste dessen, was sich in, unter und über einer Tww abspielt, beliebig verlängern: Pflanzen können das Wachstum von anderen Pflanzen fördern oder hemmen oder Warnsignale über die Anwesenheit von Fressfeinden aussenden. Singvögel finden reichhaltig Futter wie Regenwürmer, Tausendfüssler und Insekten, Grünspechte graben nach Ameisen und Greifvögel, Füchse und Hermelin jagen nach Eidechsen und Mäusen.

Die Rolle der Landwirtschaft. Tww sind durch schonende landwirtschaftliche Pflege entstanden – ohne diese Pflege geht die Artenvielfalt verloren. Für diese Pflege wird die Landwirtschaft finanziell entschädigt. Sobald aber grossflächige Monokulturen angelegt werden, die mechanisch bearbeitet und mit Mist, Jauche und Kunstdünger behandelt werden, wird die Artenvielfalt reduziert. Die negativen Effekte werden noch verstärkt durch den Einsatz von Pestiziden und einen frühen ersten Schnitt für Viehfutter. Dies führt zum Rückgang der Insekten und Verlust der Nistplätze für bodenbrütende Vögel wie Feldlerchen und Kiebitze, die heute praktisch verschwunden sind. Der Landwirtschaft einseitig die Schuld für diese Entwicklung zu geben, ist nicht fair. Wir Konsumenten tragen mit unserem Kaufverhalten («billig ist geil») genauso zum Artenverlust bei. Ein anderer wichtiger Faktor für die Abnahme der Tww ist die Zunahme der Bautätigkeit als Folge des Bevölkerungswachstums. Auf die letzten 12 Jahre hochgerechnet wurde jede Sekunde ein Quadratmeter Land überbaut. Ein Blick von Aarau aus in Richtung Jura zeigt, dass die steilen Südhänge, also die ursprünglichen Tww-Gebiete, zum Wohnen besonders attraktiv sind.

Gesetzlicher Schutz. Da in den letzten 100 Jahren 95 % der Tww verschwunden sind, hat die Schweiz seit 1994 aufgrund des Bundesgesetzes über den Natur- und Heimatschutz ein Inventar der wertvollsten Tww-Flächen erstellt. Das Inventar der Tww von nationaler Bedeutung wurde 2010 vom Bundesrat genehmigt und nach einer Revision 2017 bestätigt. Die Trockenwiese «Bärehoger» (Bild), Teil des Objekts 4661 des Bundesinventars, zählt damit zur «Champions League der Artenvielfalt». Wir können uns glücklich schätzen, gleich oberhalb des Dorfes ein Objekt dieser Qualitätsstufe zu haben. Tww von nationaler Bedeutung dürfen laut Bundesgesetz weder überbaut noch sonst wie beschädigt werden. Deshalb setzen sich BirdLife Schweiz und Pro Natura für dieses Naturschutzgebiet ein. Trockenwiesen von nationaler Bedeutung müssen für die Nachwelt erhalten bleiben!

Bildlegende

Die Tww von nationaler Bedeutung, Objekt Nr. 4661 Buhalde, besteht aus drei Teilgebieten, die sich botanisch unterscheiden. Diese sind im Bundesinventar mit eigenen Nummern aufgeführt. Das Teilgebiet «Bärehoger» (AG2130102) umfasst 0.3 ha und beginnt an der Kante des parallel zum Gislifluhweg verlaufenden Fusswegs.
Quelle: Map.geo.admin.ch

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